Materialien für nachhaltige Shopkonzepte

Diana Drewes, Materials Researcher und Werkstoffentwicklerin bei Haute Innovation – Zukunftsagentur für Material und Technologie, Berlin.

Mit ungewöhnlichen Materialien lässt sich ein unvergessliches und modernes Einkaufsambiente schaffen und gleichzeitig werden Nachhaltigkeitsaspekte beachtet. Geht das? Ja, das geht.

Funktionierende Storekonzepte müssen beim Käufer positive Gefühle erwecken. Im Gegensatz zu Onlineshop-Plattformen hat der Einzelhandel den großen Vorteil, alle Sinne seiner Kunden anzusprechen. So werden bereits Soundduschen und modernste Lichttechnik in Supermärkten genutzt, um dem Käufer ein einzigartiges Einkaufserlebnis zu bieten und größere Umsätze zu generieren.

Losgelöst von kostenintensiven Technikspielereien oder virtuellen Einkaufshilfen können mittelständische und inhabergeführte  Geschäfte dank  neuer  ungewöhnlicher  Materialien für den Interiorbereich mit den finanzstarken Filialisten mithalten und ihren Kunden ebenfalls ein unvergessliches Einkaufsambiente bieten. Zudem achtet der Konsument, egal ob großes oder kleines Budget, jung oder alt, immer mehr auf Nachhaltigkeit. In diesem Sinne gelten Natur- sowie Recyc- lingmaterialien als selbstverständlich. Je konsequenter beide Ansätze umgesetzt werden, desto positiver ist die Wirkung auf den Kunden.

Biobasierte Akustiklösungen

Das Berliner Designduo von Studio Flaer zum Beispiel entwickelt Akustikelemente aus rein natürlichen Materialien. Aus Bananen- und Maulbeerenfasern erschaffen sie schallabsorbierende Platten, die, eingespannt in federleichte Bambusrahmen, als besonderer Eyecatcher sogar freihängend im Raum montiert werden können. Wie der Name des Projektes „Indigo“ bereits verrät, nutzen die Designer den traditionellen Farbstoff Indigo zum Einfärben ihrer Akustikelemente.

Der  niederländische  Designer  Eric  Klarenbeek  vertreibt  auf der Internetseite krown.bio Akustikpaneele aus kompostierbarem Pilzschaum. Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Entwicklung kommt aus dem US-Bundesstaat New York, wo das Unternehmen Ecovative bereits seit über zehn Jahren Pilze bzw. die feinen Pilzfäden (auch Myzel genannt) im industriellen Kontext als chemiefreies Bindemittel nutzt, um Reststoffe wie getrocknete und zerkleinerte Maiskolben oder abgeerntete Pflanzen dauerhaft zu fixieren. In wiederverwendbaren Kunststoffformen  bildet  sich  unter  optimalen Bedingungen in nur drei bis fünf Tagen ein feines dreidimensionales Fadengeflecht aus. Im Anschluss wird das Material aus der Form gelöst und getrocknet. Dabei wird dem Pilz überlebensnotwendiges Wasser entzogen und er stirbt ab. Das Material erinnert in Haptik und Erscheinung nun an Styropor, kann jedoch im Gegensatz zu dem petrochemisch erzeugten Original komplett kompostiert werden. In der Baubranche überzeugt das ungewöhnliche Material aufgrund schwerer Entflammbarkeit und der feinporigen Erscheinung bereits als Dämmmaterial oder Schallabsorber. Neben Akustikelementen bietet Eric Klarenbeek auch Kleinmöbel wie zum Beispiel Hocker in seinem Onlineshop an.

Biobasierte Platten und Bodenbeläge

Neben Pilzkompositmaterialien erfreuen sich zudem Reststof- fe aus der Lebensmittelindustrie großer Beliebtheit. Plötzlich wird Kaffeesatz von Cafés und Bäckereien eingesammelt und zu Lampenschirmen,  Fliesen  oder Wandpaneelen  verarbeitet. Die Wandpaneele von Pladec aus Portugal bestehen aus bis zu 70% Kaffeesatz. Gebunden wird das Material mit PLA. In der Verarbeitung kann man es mit herkömmlichem MDF vergleichen. Nach dem Gebrauch kann es sogar verbrannt werden, da keinerlei Chemikalien enthalten sind. Neben der außergewöhnlichen und natürlichen Erscheinung sowie dem innovativen Recyclinggedanken überzeugen die Platten durch ihren angenehmen Geruch. Schaut man sich im Onlineshop der Portugiesen um, entdeckt man viele weitere nachhaltige Plattenwerkstoffe aus Korkresten, Eukalyptus oder Calendula.

Wandfliesen aus Tresta

Die junge Designerin Katharina Hölz aus Rheinland-Pfalz nutzt einen regionalen Reststoff der Weinproduktion: Trester. Denn wo Trauben für die Weinherstellung wachsen, fallen auch Abfallstoffe wie Stiele, Schalen und Kerne an. Diese Abfallstoffe nennt man Trester, sie landen zum Großteil als ungenutzte Biomasse auf dem Kompost oder werden unter die Felder gehoben. Ganz im Sinne des Cradle-to-Cradle Prinzips entstanden unter Verwendung natürlicher Bindemittel Lampen, Weinkühler und sogar Wandfliesen aus getrocknetem und zerkleinerten Trester. Je nach Traubensorte und Kelterung können die Objekte in der Farbigkeit und sogar im feinen Mostduft variieren.

Recyclingmaterialien

Mit ihren „Plastic Stone Tiles“ setzt sich Enis Akiev aus Köln mit dem Material des Jahrhunderts auseinander: Kunststoff. Nach seiner Erfindung galt das petrochemisch erzeugte Material als Allrounder und fand in allen Lebensbereichen Verwendung. Mit der Entdeckung der riesigen Müllinseln in unseren Ozeanen Ende der neunziger Jahre hat sich die Euphorie jedoch gelegt.

2014 haben Geologen an hawaiianischen Stränden feste Gebilde entdeckt, die aus geschmolzenen Kunststoffen, Vulkangestein, Korallenfragmenten und Sandkörnern bestehen. Forscher bezeichnen diese Klumpen mittlerweile als Plastikgestein oder auch Plastiglomerate. Enis Akiev nutzt diesen gesteinsbildenden Prozess für ihre langlebigen und farbenfrohen „Plastic Stone Tiles“. Mit ihrer Arbeit gibt sie eine mögliche Antwort auf die aktuelle Frage, was mit dem gesammelten Plastikmüll aus den Weltmeeren gemacht werden kann.

Individualisierbare Bodenfliesen aus recyceltem Papier

Selbst für temporär genutzte Pop-Up-Stores gibt es umweltverträgliche und ressourcenschonende Bodenbeläge. Das Unternehmen Print your Own Floor aus Hamburg bietet seinen Kunden ein Wellpappe-ähnliches Material aus recyceltem Papier, welches sich je nach Kundenwunsch individuell bedrucken und somit gestalten lässt.

Innovative Fertigung

UPM Grada aus Finnland bietet ihren Kunden eine thermoplastisch gebundene Furniersperrholzplatte an, die sich in nur 60 Sekunden durch Hitze und Druck in Form bringen lässt. In einem Kooperationsprojekt mit Designstudenten der Universität der Künste in Berlin sind spannende Arbeiten entstanden, die die technischen Möglichkeiten der Holzfurnierplatte zeigen.

Erschienen im dLv-Trendreport 2020 - 2023. Hier bestellen.

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