Stores around the World

Wolf Jochen Schulte-Hillen, CEO und Founder SH Selection

Eine Tour durch die berühmtesten Einkaufsstraßen der Welt kann durchaus ernüchternd sein.
Denn von der 5th Avenue in New York über Ginza in Tokyo bis hin zu den neuesten Shopping- Hotspots zwischen Meyedong in Seoul und der Nanjing Street in Shanghai: Die Flagship-Stores
der großen internationalen Brands sehen überall gleich aus. Und es sind häufig auch die immer gleichen Fashion- und Kosmetik-Stores, die in den prominenten Lagen dominieren. Zwar sind die Verkaufsflächen in Asien größer als hierzulande, die Fassaden aufregender, die Werbung schriller und alles ein bisschen „bigger than life“. Doch viel spannender zeigt sich das Geschehen jenseits der bekannten High Streets. Wolf Jochen Schulte-Hillen, Deutschlands wohl bekanntester und entdeckungsfreudigster Weltreisender in Sachen Retail, berichtet von spannenden Store-Konzepten und aufregenden Läden aus der weiten Welt.

Es gibt viele tolle Läden, die nicht unbedingt in den sogenannten Prime Locations der großen Metropolen liegen, sondern eher in unaufgeregten Quartieren oder Nebenlagen. Dort lassen sich nicht nur neue Store-Konzepte entdecken, sondern auch spannende neue Fassaden und Innenräume. Einer der Gründe für die innovative Dynamik in diesen Lagen dürften die vergleichsweise geringen Mieten sein, die vor allem kleine, junge und experimentierfreudige Unternehmen mit neuen, individuellen Konzepten anlocken.

Kiez statt Zentrum

Für die Städte sind diese stationären Retail-Highlights ein Gewinn, weil sie Stadtviertel, die bislang eher im Schatten der Stadtzentren lagen, in Trendquartiere verwandeln. Beispielhaft für diese Entwicklung stehen Omotesando und Harajuku in Tokyo, der Meatpacking District, Soho oder Nolita in New York. Das bezeichnende Charakteristikum für diese Viertel ist eine neue, eng verwobene Mischung aus Kultur und Retail. Der Handel nutzt die dort vorhandenen, eher kleineren Flächen für die Einrichtung sehr individueller Stores, setzt auf ein kuratiertes Angebot vorzugsweise regional oder lokal hergestellter Produkte, integriert Manufakturen bzw. Fertigung vor Ort und verbindet sich gezielt mit standortspezifischen komplementären Gastronomie- und Kulturangeboten. Zugleich können neue Handelsformate, wie sie B8ta und Showfields mit Retail as a Service anbieten, erprobt werden. Eine solche kleinteilige, auf verschiedene Nutzungen und Akteure setzende Struktur verheißt mehr Beständigkeit, denn sie will den Online-Handel nicht ersetzen, sondern ideal ergänzen.

Die Dynamik folgt häufig demselben Muster. Kleine Pure-Player-Labels eröffnen zunächst Pop-ups, denen dann sogenannte Experience-Stores folgen. Bestehen diese Testballons die stationäre Bewährungsprobe, wird ein umfassendes Store-Konzept realisiert. Den Erfolg dieses Ansatzes beweisen fast alle neuen „Direct to Consumer“-Brands, also Marken wie Allbirds, Everlane, Rebecca Minkhoff, Warby Parker und Away, die bereits erfolgreich im E-Commerce sind. Sie eröffnen weltweit Filialen, aber der eigenen Credibility halber eben nur in Vierteln, in denen ihre jeweilige Community lebt und unterwegs ist. Dieses Expansionsformat ist auch ein Impulsgeber des Store-Designs. Zu den herausragenden Protagonisten gehören das koreanische Optikerlabel Gentle Monster oder das US-Unternehmen Forty Five Ten aus Texas, die ihre Läden als Kunstgalerien inszenieren – die Ware ist Nebensache. Aber auch Brands wie Bathing Ape oder Supermonkey beschreiten mit ihrem innovativen neuen Design Wege, um die Präsenz ihrer Marke zu stärken.

Verkaufsraum ist out

Die Ware als Selbstzweck hat sich bei den stationären Läden erfolgreicher Handelsformate längst überholt. Wie ein Laden, der neben vielen anderen Angeboten auch Ware führt, indes aussehen kann, zeigt das japanische Unternehmen MUJI in Tokyo und Peking. Dort verschmelzen Handel, Hotel, Gastronomie und Wohnen miteinander. Stores dieser Kategorie begreifen sich als Spitze einer Bewegung, der es darum geht, Kultur, Konsum und Erlebnis zu vereinen. Das gilt auch für Shopping-Center wie das K11 Musea in Hongkong, eine „Art Mall“, die Kunst und Kultur mit Happening verbindet und das eingebettete Shopping bei den dort vertretenen internationalen Brands zu einem allumfassen- den Vor-Ort-Erlebnis verschmilzt. Ein anderes Beispiel für diesen Ansatz liefern die Hudson Yards in New York. Hier verkauft der Sneaker-Papst Ronnie Fieg in seinem KITH-Laden keine Schuhe, sondern Eis. Selbstverständlich in einem coolen, seinem Selbstverständnis entsprechenden Store. Solche Läden sind Destinationen, hier trifft man sich mit Freunden, will unterhalten werden und kauft nebenbei ein. Der Begriff „Shopping“ geht in diesem Konzept völlig unter; das Kaufen selbst wird zum Teil eines größeren Erlebnisses von Stadt, Architektur, Kunst oder Performance.

Die neuen Ladenformate, die während und direkt nach der ersten Welle der Corona-Pandemie in Asien entstanden sind, strotzen geradezu vor Coolness und setzen selbstbewusst neue Materialien und Oberflächen ein. Während der Umgang mit neuesten digitalen Features subtil und unaufdringlich bleibt, schwelgen die Einrichtungen in Farben. Die aufsehenerregenden Stores sollen die Marke stärken und den Communities auch jenseits der unerschöpflichen Angebote der Online-Welt eine stationäre Heimat bieten.

Auch Fast Retailing aus Japan mit seiner Hauptmarke Uniqlo, der aktuelle Weltmarktführer im Fashion-Bereich, der in diesem Jahr die spanische Inditex-Gruppe an der Spitze abgelöst hat, setzt nur wenige, dafür umso imposantere Statements. So sollen die aufwändig gestalteten Flashipstores in den großen Metropolen vor allem beeindrucken. Die deutlich kleineren Filialen an anderen Standorten geben sich weitaus bescheidener, sorgen aber für die Präsenz der Marke auch jenseits der High Street. Der Erfolg dieser Strategie beruht auf der Verbindung zwischen einer sichtbar geringeren Warenmenge auf der Fläche einerseits und einer optimalen Omnichannel-Lösung andererseits.

Erschienen im STORE BOOK 2021. Hier bestellen.

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